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Halte dich nie in der Gesellschaft eines Menschen auf, mit dem du nicht sterben möchtest.
Fremen-Sprichwort
Als Liet-Kynes von Salusa Secundus zur Schmugglerbasis am Südpol von Dune zurückkehrte, wartete sein Freund Warrick dort bereits auf ihn.
»Schau dich nur an«, sagte der größere Fremen lachend. Warrick warf seine Kapuze zurück und eilte über den knirschenden Schotter, der den Boden der verborgenen Schlucht bedeckte. Er umarmte Liet und klopfte ihm kräftig auf den Rücken. »Du bist wasserfett geworden ... und sauber.« Er schniefte verächtlich. »Ich erkenne keine Spuren eines Destillanzugs an dir. Hast du die Wüste vollständig abgewaschen?«
»Ich werde mein Blut niemals von der Wüste reinigen können.« Liet hielt seinen Freund fest. »Und du ... bist erwachsen geworden.«
»Das Glück eines verheirateten Lebens, mein Freund. Faroula und ich haben jetzt einen Sohn, den wir dir zu Ehren Liet-chih genannt haben.« Er schlug mit der Faust in die offene Hand. »Und ich habe weiterhin jeden Tag gegen die Harkonnens gekämpft, während du unter diesen Außenweltlern weich und schwach geworden bist.«
Ein Sohn. Liet verspürte einen traurigen Stich, aber er ging vorbei und wich aufrichtiger Freude über Warricks Glück und Dankbarkeit für die Ehre.
Die Schmuggler entluden die Fracht ohne viele Worte oder Scherze. Sie waren unruhig und bedrückt, weil Dominic Vernius sie nicht auf der Rückreise nach Arrakis begleitet hatte. Johdam und Asuyo riefen Befehle, wo das Material verstaut werden sollte, das sie von Salusa Secundus mitgebracht hatten. Gurney Halleck war auf dem Planeten zurückgeblieben, um die Aktionen der Schmuggler zu überwachen.
Warrick hielt sich bereits seit fünf Tagen in der antarktischen Basis auf. Er hatte das Essen mit den Schmugglern geteilt und den Männern gesagt, wie sie in den Wüsten dieser Welt überleben konnten. »Ich glaube nicht, dass sie es jemals lernen werden, Liet«, flüsterte er ihm zu. »Ganz gleich, wie lange sie hier leben, sie werden immer Außenweltler bleiben.«
Auf dem Weg durch die Haupttunnel erzählte Warrick ihm alle Neuigkeiten. Zweimal hintereinander hatte er das Bestechungsgeld in Form von Gewürz zu Rondo Tuek gebracht und herauszufinden versucht, wann sein Freund zurückkehren würde. Es schien sehr viel Zeit vergangen zu sein. »Was hat dich überhaupt dazu getrieben, einen Ort wie Salusa Secundus aufzusuchen?«
»Ich musste diese Reise machen«, erwiderte Liet. »Dort ist mein Vater aufgewachsen, und er hat sehr oft davon gesprochen. Aber jetzt bin ich wieder da und habe vor, auch hier zu bleiben. Dune ist meine Heimat. Salusa war lediglich ... eine interessante Abwechslung.«
Warrick hielt inne, um sich das lange Haar zu glätten. Nach vielen Stunden unter der Kapuze eines Destillanzugs war es verfilzt und gewellt. Zweifellos bewahrte Faroula seine Wasserringe für ihn auf, wie es eine Ehefrau tun sollte. Liet fragte sich, wie die elfenhafte junge Frau jetzt aussehen mochte. »Und? Wirst du in den Rotwall-Sietch zurückkehren, Liet? Wo du hingehörst? Faroula und ich vermissen dich. Es macht uns traurig, dass du das Bedürfnis verspürst, dich von uns fernzuhalten.«
Liet schluckte schwer. »Ich war dumm«, gestand er ein. »Ich brauchte etwas Zeit, um über meine Zukunft nachzudenken. So viel hat sich verändert, und ich habe so viel gelernt.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich glaube, dass ich meinen Vater jetzt viel besser verstehe.«
Warricks völlig blaue Augen weiteten sich. »Wer würde am Umma Kynes zweifeln? Wir tun einfach, was er von uns verlangt.«
»Sicher, aber er ist mein Vater! Und ich wollte ihn besser verstehen.«
Von einem hohen Aussichtspunkt innerhalb der gefrorenen Felsen blickten sie auf die geschichteten Terrassen der schmutzigen Eiskappe hinaus. »Wenn du bereit bist, mein Freund, können wir einen Wurm rufen und zum Sietch zurückkehren.« Warrick schürzte die Lippen, um einen amüsierten Gesichtsausdruck zu verbergen. »Falls du dich noch erinnerst, wie man einen Destillanzug anlegt.«
Liet schnaufte und ging zum Spind, in dem er seine Ausrüstung für die Wüste untergebracht hatte. »Es mag sein, dass du mich im Wettlauf zur Höhle der Vögel geschlagen hast« – er warf seinem Freund einen Seitenblick zu –, »aber ich kann immer noch einen größeren Wurm rufen als du.«
Sie verabschiedeten sich von den Schmugglern. Obwohl die vom Leben abgehärteten alten Männer fast ein Jahr lang Liets Gefährten gewesen waren, fühlte er sich ihnen nicht besonders nahe. Es waren Soldaten, die ihrem Kommandanten gehorchten und regelmäßiges Training gewohnt waren. Sie sprachen ununterbrochen von vergangenen Zeiten, von Schlachten auf fernen Welten und von Siegen an der Seite des Grafen Vernius zum Ruhm des Imperiums. Aber ihre Leidenschaft war abgekühlt; jetzt taten sie nur noch, was sie konnten, um Shaddam zu ärgern ...
Liet und Warrick wanderten durch die antarktische Einöde. Um den Staub und Abraum der Fabriken des Wasserhändlers machten sie einen großen Bogen. Warrick blickte sich zum Abhang um, der nicht erkennen ließ, dass sich darunter eine Schmugglerstation befand. »Wie ich sehe, hast du ihnen einiges beigebracht. Selbst die Spuren, die wir ihnen beim ersten Mal nicht gezeigt haben, sind verschwunden. Ihre Festung ist jetzt viel besser gegen eine Entdeckung gesichert.«
»Dir ist es also aufgefallen«, sagte Liet zufrieden. »Mit einem guten Fremen-Lehrer können sogar diese Leute die einfachsten Regeln lernen.«
Endlich hatten sie die Grenze der Wüste erreicht und stellten einen Klopfer auf. Bald waren sie auf dem Rücken eines Wurms in nördlicher Richtung unterwegs und durchquerten die wilden Sandebenen, in die die Harkonnen-Patrouillen nur selten vordrangen, weil sie immer wieder an Staubstürmen und anderen Launen des Wetters scheiterten.
Während ihr Reittier durch den Sand pflügte und sie der Äquatorialregion näher brachte, erzählte Warrick von allen Neuigkeiten. Er schien glücklicher als je zuvor, und die Geschichten und humorvollen Anekdoten schienen kein Ende nehmen zu wollen.
Liet verspürte nach wie vor einen dumpfen Schmerz in seinem Herzen, als sein Freund von Faroula und ihrem Sohn berichtete – von ihrem Familienleben, von einer Reise, die sie zum Sietch Tabr unternommen hatten, von einem Tag in Arrakeen, von ihren Plänen, eines Tages das Demonstrationsprojekt im Gipsbecken zu besuchen ...
Und immer wieder schweifte Liet in Tagträume ab. Wenn er nur einen größeren Wurm gerufen hätte ... oder ihn energischer angetrieben hätte oder weniger Pausen gemacht hätte, dann wäre er vielleicht als Erster eingetroffen. Beide jungen Männer hatten sich vor langer Zeit beim Anblick des Biyan, des freigewehten weißen Seebodens, dasselbe geschworen – dass sie dasselbe Mädchen heiraten wollten. Nur Warrick war dieser Wunsch erfüllt worden.
Es war der Wille Shai-Huluds, wie die Fremen sagen würden, und Liet musste ihn akzeptieren.
Nachdem sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten, saßen sie auf einem Dünenkamm und warfen Spielstäbchen in den Sand. Dann beobachteten sie, wie die Sterne lautlos in der Dunkelheit über ihnen hinwegzogen, bis sie ins Destillzelt krochen und es versiegelten. Mit dem weichen Wüstensand als Matratze schlief Liet-Kynes besser als seit vielen Monaten ...
Sie reisten schnell und schonten sich nicht. Zwei Tage später sehnte sich Liet danach, den Rotwall-Sietch wiederzusehen. Er wollte seine Mutter Frieth begrüßen und seinem Vater erzählen, was er auf Salusa Secundus erlebt hatte.
Doch an diesem Nachmittag starrte Liet über den Sand auf eine bräunlich verfärbte Stelle am Horizont. Er zog die Filterstopfen aus der Nase und atmete tief ein. Die Luft roch nach Ozon, und auf seiner Haut kribbelte statische Elektrizität.
Warrick runzelte die Stirn. »Es ist ein großer Sturm, Liet, und er kommt sehr schnell näher.« Er zuckte die Achseln und zwang sich zum Optimismus. »Vielleicht ist es nur ein heinali-Wind. Damit kommen wir zurecht.«
Liet behielt seine Gedanken für sich, da er keinen unangenehmen Verdacht äußern wollte. Wer ein mögliches Unheil aussprach, konnte damit genau dieses Unheil anlocken.
Doch als das Unwetter etwas näher gekommen war und sich lärmend, dunkel und bedrohlich in den Himmel reckte, fasste Liet in Worte, was ohnehin offensichtlich war. »Nein, mein Freund, das ist ein Coriolissturm.« Grimmig presste er die Lippen aufeinander. Er erinnerte sich an seine Erfahrung mit seinem Vater in der meteorologischen Kapsel und an den Aurorasturm vor nicht allzu langer Zeit auf Salusa Secundus. Das hier jedoch war schlimmer, viel schlimmer.
Warrick packte eine Leiste auf dem Rücken des Wurms und blickte sich zu ihm um. »Hulasikali Wala. Der Wind des Dämonen in der offenen Wüste.«
Liet betrachtete die näher rückende Wolke. In den höchsten Ausläufern wurde die Lufttrübung durch winzige Staubpartikel erzeugt, während der Sturm am Boden den schwereren Sand in Bewegung versetzte und gewaltige Reibungsenergien entfaltete. Hulasikali Wala, dachte er. So bezeichneten die Fremen den stärksten aller Coriolisstürme. Der fleischfressende Wind.
Der Sandwurm unter ihnen wurde immer unruhiger. Er wollte nicht mehr weiterziehen. Wenn der tödliche Sturm sie erreichte, würde das Geschöpf in die Sicherheit des Sandes eintauchen, ganz gleich, wie viele Klammern und Bringerhaken sie benutzten, um seine Körpersegmente offen zu halten.
Liet überblickte die getrübte Dünenlandschaft, die sich wie ein endloser Ozean in alle Richtungen erstreckte. Nur freie, offene Wüste. »Keine Berge, keine Unterschlupfmöglichkeit!«
Warrick antwortete nicht, sondern suchte weiter nach der leichtesten Unregelmäßigkeit in der bleichen Ebene. »Da!« Er richtete sich auf dem Rücken des Wurms auf und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle. »Ein kleiner Felsbuckel. Unsere einzige Chance.«
Liet kniff die Augen leicht zusammen. Der aufgewehte Staub wurde immer unangenehmer. Er konnte nur einen winzigen schwarzbraunen Fleck erkennen, nicht mehr als ein Felsblock, der zufällig aus dem Sand ragte. »Sieht nicht sehr vielversprechend aus.«
»Etwas Besseres haben wir nicht, mein Freund.« Warrick hantierte hektisch mit den Haken, um den Wurm in die entsprechende Richtung zu treiben, bevor der Coriolissturm sie erreichte.
Eine kräftige Bö schlug ihnen scharfen Sand in die Gesichter, dass ihnen die Augen schmerzten. Sie hatten die Filterstopfen tief in die Nasenlöcher geschoben und hielten den Mund fest verschlossen. Nun zogen sie sich die Kapuzen über den Kopf, um ihre Gesichter zu schützen, doch Liet hatte immer noch das Gefühl, dass der Staub durch die Poren seiner Haut eindrang.
Der Wind flüsterte heiser in seinen Ohren und wurde dann lauter, wie der Atem eines Drachen. Die statische Elektrizität verstärkte sich und machte ihm zu schaffen. Er bekam bohrende Kopfschmerzen, die erst aufhören würden, wenn er sich gut im Sand geerdet hatte. Was hier draußen natürlich unmöglich war.
Als sie sich der winzigen Felsgruppe näherten, verlor Liet den Mut. Jetzt konnte er sehen, dass es lediglich ein Buckel aus erhärteter Lava war, den der Wind freigelegt hatte. Kaum größer als ein Destillzelt, mit scharfen Kanten, Rissen und Spalten. Auf keinen Fall groß genug, um ihnen beiden Schutz zu bieten.
»Warrick, es hat keinen Sinn! Wir müssen uns etwas anderes suchen.«
Sein Gefährte drehte sich zu ihm um. »Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Der Sandwurm bockte und wand sich. Ihm gefiel die Richtung nicht, in die Warrick ihn drängen wollte. Als sie sich der zweifelhaften Zuflucht näherten, erhob sich der Sturm wie eine gewaltige braune Wand genau vor ihnen in den Himmel. Warrick ließ die Haken los. »Jetzt, Liet! Wir müssen unseren Füßen und unserem Geschick vertrauen ... und Shai-Hulud!«
Liet löste seine Bringerhaken und sprang. Der Wurm verlor keine Sekunde und tauchte sofort ab. Liet rannte, um der Flutwelle aus weichem Sand zu entkommen.
Mit einem trockenen Zischen raste der Coriolissturm wie ein gereiztes Raubtier auf sie zu. Liet konnte nicht mehr unterscheiden, wo die Wüste aufhörte und der Himmel begann.
Sie stemmten sich gegen den Wind und kletterten auf die Felsen. Nur ein Spalt war tief genug, dass sich ein Mensch hineinkauern konnte, in der Hoffnung, ausreichend vor dem Sandstrahlgebläse des Sturms geschützt zu sein.
Warrick musterte das Loch, dann hob er den Kopf. »Dieser Unterschlupf ist für dich, mein Freund.«
Liet weigerte sich. »Unmöglich. Du bist mein Blutsbruder. Du hast Frau und Kind. Sie brauchen dich.«
Warrick starrte ihn mit kaltem Blick an. »Und du bist der Sohn von Umma Kynes. Dein Leben ist mehr wert als meins. Kriech in den Spalt, bevor der Sturm uns beide tötet.«
»Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben für mich opferst.«
»Aber ich lasse dir keine andere Wahl.« Warrick wollte vom Felsen steigen, doch Liet packte seinen Arm und riss ihn zurück.
»Nein! Wie entscheiden sich Fremen in einer solchen Situation? Wie können wir das Wasser unseres Stammes am besten bewahren? Ich sage, dein Leben ist wertvoller, weil du eine Familie hast. Du sagst, meins sei mehr wert, weil mein Vater eine wichtige Persönlichkeit ist. Wir werden dieses Dilemma nicht so rasch lösen können.«
»Dann muss Gott entscheiden«, sagte Warrick.
»Also gut.« Liet zog einen Spielstab aus einer Gürteltasche. »Und du musst dich an die Entscheidung halten.« Als Warrick die Stirn runzelte, schluckte Liet und fügte hinzu: »Genauso wie ich.«
Sie suchten eine Stelle mit weichem Sand, die einigermaßen vor dem wütenden Wind abgeschirmt war. Die Bestie des Sturms kam immer näher, ein brodelndes Universum aus ewiger Finsternis. Warrick warf als Erster. Sein Knochenstab grub sich in den Sand. Sieben.
Als Liet seinen Stab warf, dachte er daran, dass sein Freund sterben würde, wenn er gewann. Und wenn er verlor, würde er selbst sterben. Aber ihm fiel keine andere Lösung ein.
Warrick kniete sich neben die Stäbe. Liet beeilte sich, ihm zu folgen. Er glaubte nicht, dass sein Freund ihn betrügen würde, was für einen Fremen undenkbar war. Aber er traute Warricks Augen nicht, die im wehenden Sand tränten. Sein Kerbholz steckte schräg im Sand bis zur Markierung der Neun.
»Du hast gewonnen«, sagte Warrick und wandte sich ihm zu. »Du musst in den Spalt kriechen, mein Freund. Wir dürfen keine Zeit mit weiteren Diskussionen verlieren.«
Liet blinzelte, um seinen getrübten Blick zu klären, und erschauderte. Seine Knie wurden weich, er drohte vor Verzweiflung zusammenzubrechen. »Das kann nicht sein. Ich weigere mich, es zu akzeptieren.«
»Du hast keine andere Wahl.« Warrick versetzte ihm einen Stoß, der ihn näher an den Felsspalt brachte. »So sind die Launen der Natur. Du hast deinen Vater oft genug darüber reden gehört. In der Umwelt lauern ständig Gefahren, und wir beide ... hatten heute eben Pech.«
»Ich kann es einfach nicht tun!« Liet stöhnte und sträubte sich, doch Warrick versetzte ihm einen so heftigen Stoß, dass er mit dem Rücken auf dem Felsbuckel landete.
»Los! Ich will nicht umsonst sterben!«
Zitternd und benommen kroch Liet auf den Spalt zu. »Komm mit! Wir können uns nebeneinander in den schützenden Spalt zwängen. Wir werden schon hineinpassen.«
»Er ist nicht groß genug. Sieh selbst!«
Das Geheul des Sturms steigerte sich weiter. Staub- und Sandkörner peitschten sie wie Schrotgewehrfeuer. Sie mussten sich anschreien, obwohl sie nur wenige Schritte auseinander standen. »Du musst dich um Faroula kümmern«, sagte Warrick. »Wenn wir uns streiten und du auch stirbst, wer soll sie dann versorgen? Und meinen Sohn?«
Liet erkannte, dass er sich geschlagen geben musste, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, und umarmte seinen Freund. Dann stieß Warrick ihn in den Spalt. Liet wand sich und versuchte sich tiefer hineinzuzwängen, damit vielleicht genügend Platz für Warrick übrig blieb, damit er sich wenigstens einigermaßen schützen konnte. »Nimm meinen Mantel! Er wird dich vor dem Schlimmsten bewahren.«
»Behalte ihn, Liet. Auch für dich wird es schwierig, diesen Sturm zu überleben.« Warrick blickte auf ihn herab. Sein Umhang und Destillanzug flatterten im harten Wind. »Sagen wir einfach ... dass ich ein Opfer für Shai-Hulud bin. Wenn er mein Leben bekommt, wird er mit deinem vielleicht gnädiger sein.«
Liet fühlte sich von den Felsen zusammengequetscht und konnte sich kaum noch bewegen. Er roch die atmosphärische Elektrizität des Sandsturms und sah die blitzenden Entladungen in der sich nähernden Staubwand. Es war die gefährlichste Naturgewalt, die der Wüstenplanet gegen sie aufzubieten hatte – viel schlimmer als alles, was es auf Salusa Secundus oder an irgendeinem anderen Ort des Universums gab.
Liet streckte seinen Arm aus, und ohne ein Wort ergriff Warrick seine Hand. Er spürte bereits, wie seine oberen Hautschichten abgeschmirgelt wurden. Der Wind nagte wie eine Ballung winziger Zähne an ihm. Er wollte Warrick herunterziehen, damit er im Spalt zumindest einen gewissen Schutz hatte, aber sein Freund wehrte sich dagegen. Er hatte sich damit abgefunden, dass er keine Chance mehr hatte.
Der Orkan wütete immer lauter und wetzte seine kreischenden Krallen. Liet konnte die Augen nicht mehr offen halten und versuchte, tiefer im unnachgiebigen Fels zu versinken.
Eine heftige Bö entriss ihm Warricks Hand. Liet wollte sich aufrichten, ihn packen und zurückzerren, aber der Felsen hielt ihn fest, und der Wind drückte ihn nach unten. Er konnte nichts mehr sehen. Die Welt bestand nur noch aus dröhnenden Gewalten.
Selbst Warricks Schrei ging völlig im Getöse unter.
* * *
Nachdem er viele Stunden lang die Hölle ertragen hatte, wagte sich Liet wieder nach draußen. Sein Körper war mit puderfeinem Staub bedeckt, mit den wunden Augen konnte er kaum noch sehen, und seine Kleidung war von der Reibung des Felsens und des Sandsturms zerfetzt worden. Seine Stirn brannte.
Ihm war übel, und er schluchzte vor Verzweiflung. Ringsum war die Wüste makellos erneuert, wie eine unberührte Landschaft. Er stampfte mit seinen Temag-Stiefeln auf und wollte in seiner Wut und Trauer alles zerstören. Doch dann drehte er sich um.
Er traute seinen Augen nicht, als er die dunkle Silhouette eines Menschen hoch auf einer Sanddüne stehen sah. Sie wurde von einem zerfetzten Mantel umweht, und der Destillanzug wies große Löcher auf.
Liet erstarrte und überlegte, ob er eine Halluzination oder eine Fata Morgana erlebte. Oder war der Geist seines Freundes zu ihm zurückgekehrt? Nein, es handelte sich um einen lebenden Menschen, der ihm den Rücken zugekehrt hatte.
Warrick.
Liet schrie keuchend auf und rannte stolpernd durch den feinen Sand, in dem er tiefe Spuren hinterließ. Er lachte und weinte gleichzeitig, als er die Düne bestieg. Er konnte immer noch nicht glauben, was seine Augen sahen. »Warrick!«
Der Fremen rührte sich nicht; er eilte seinem Freund nicht entgegen, sondern starrte unentwegt nach Norden, wo sein Zuhause lag.
Liet konnte sich nicht vorstellen, wie Warrick überlebt haben sollte. Der Coriolissturm zerstörte alles, was in seinem Weg lag – aber irgendwie war dieser Mann auf den Beinen geblieben. Wieder rief Liet und erreichte den Kamm der Düne. Er kämpfte um sein Gleichgewicht und näherte sich seinem Freund. Schließlich ergriff er seinen Arm. »Warrick! Du lebst!«
Langsam wandte Warrick sich ihm zu.
Der Sandsturm hatte ihm große Teile der Haut vom Leib gerissen. Er hatte keine Wangen mehr, stattdessen klafften an dieser Stelle Löcher, in denen langen Zähne sichtbar waren. Seine Augen waren ohne Lider und starrten trüb und blind ins Sonnenlicht.
Seine Handrücken bestanden nur noch aus Knochen, und die Sehnen in seiner Kehle bewegten sich wie Seilzüge, als er mit geisterhaft verzerrter Stimme sprach.
»Ich habe überlebt, und ich habe gesehen. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich einfach gestorben wäre.«